Eines vorne weg: House of Cards Staffel 4 ist großartig. Diese Staffel ist tatsächlich die beste seit der ersten. Ihr erinnert euch, damals, bevor alles zu einer shakespearigen Selbstparodie in Staffel 2 wurde oder sich die Narrative plötzlich selber im Weg stand, wie in Staffel 3. Was jedoch nicht bedeutet, dass die neue Staffel House of Cards sonderlich nett wäre. Es paradieren rücksichtslose Charaktere über den Bildschirm, die Grausamkeiten begehen. Sie stoßen sich gegenseitig Messer in die Rücken und lassen einander über Klingen springen. Für einen Bingemarathon kann sich das zu einer echten Belastung auswachsen. Wer von Beginn an House of Cards verfolgt hat, wird feststellen, dass manche Konsequenz und einige Taten an einem nagen. Dennoch schafft es die vierte Staffel diese Grausamkeit am Leben zu erhalten und zeitgleich neue Schattierungen und Dynamiken ins Spiel zu bringen. Diese eröffnen komplett neue Blickwinkel auf die Underwoods, aber auch auf die Serie selber. Obendrein präsentiert sich so einer der schockierensten Momente in der kompletten House of Cards Historie. Und der ist nicht einmal das fesselnde und fingerverkrampfende Finale.
Stärken und Schwächen
Die vierte Staffel hat eine hervorragende Bandbreite an neuen Charakteren. Ellen Burstyn als Claires kranke Mutter, Neve Campbell als brillante politische Beraterin (so etwas wie Claires persönlicher Stamper) und viele weitere. Aber diese Staffel blickt nicht nur nach vorne, sondern bringt die Handlung wieder zur ersten Staffel zurück. Zum verurteilten Lucas. Und zur ermordeten Zoe. Zum hereingelegten Tom (Boris McGiver kommt als wichtiger Darsteller zurück). Wo die dritte Staffel plötzlich alle Sünden und Schandtaten von Claire und Frank vergessen haben zu schien, ist Staffel vier die Rache von Kismet und Karma. Und so wird die vierte Staffel House of Cards sehr schnell zu dem, was wir an House of Cards so lieben. Es fühlt sich wieder alles organisch und verbunden an und nicht mehr wie eine lange Reihe aus Stößen in Rücken und moralischen Schattierungen. Die Vergangenheit ist auf einmal wieder Gegenwart und mit den Geistern vergessener Tage kehren bekannte Gesichter zurück: Remy, Jackie, Raymond Tusk. Aber auch die jüngeren Ereignisse werden eingewoben. Petrov (Lars Mikkelsen), Heather Dunbar (Elizabeth Marvel), Thomas Yates (Paul Sparks) und Kate Baldwin (Kim Dickens) sind so ebenfalls wieder mit von der Partie. Gemeinsam bilden sie ein überzeugendes Mosaik. Gut, es ist eine schleimige, schäbige Collage, aber sie ist klar, deutlich und scheint wieder ein Ziel zu verfolgen. Mit der Handlung der vierten Staffel House of Cards will es auf ein Ende zuzugehen und nicht mehr nur eine Prozession von Schmerz und Gemeinheit sein.
Wer nun nach Schwachpunkten sucht, der wird ganz an der Spitze fündig. Wie in der großen Politik stinkt der Fisch am Kopf. Es sind die Underwoods. Die Staffel beginnt dort, wo uns die Ereignisse der dritten Runde zurückließen. Der Riss zwischen Claire und Frank ist noch frisch und voller Säure. Ihr manipulativer Bürgerkrieg läuft eine Zeit weiter, Frank Kampagne gerät so in echte Bedrängnis. Allerdings wirkt dieser Handlungsbogen als der am wenigsten natürliche. Strukturell ist er super konstruiert. So nämlich erzählen die ersten 6 Folgen (wie oft bei Netflix) eine eigene Geschichte. Wer nach einer thematischen Pause sucht, um den Marathon zu stoppen, ist an dieser Stelle goldrichtig. Natürlich spielt die gesamte Handlung im Wahlkampf 2016, aber der Aufbau der Staffel lässt eine gesunde Portionierung in besser verdauliche Happen zu.
Erfrischender Tempowechsel
So sind es in der zweiten Hälfte andere Themen, die ins Spiel gebracht werden. Immerhin herrscht Wahlkampf und kein Rosenkrieg. So sehr Claire und Frank auch aufeinander losgehen wollen – jeder auf seine Weise, Claire weiblich intrigant und Frank brutal, gewaltsam männlich – sie eint doch der Wille zur Macht und ihre Chance wollen sie sich nicht verbauen. Es sind Punkte wie die gesetzliche Kontrolle über Schusswaffen, ISIS (hier ICO genannt) und ein neuer, smarter, junger und gutaussehender Kontrahent in Form von Joel Kinnaman, die auf der Agenda stehen. Will Conway heißt Kinnamans Rolle und er ist ein junger Kriegsveteran, Republikaner aus New York, die perfekten Kinder nebst schöner Frau an seiner Seite. Vordergründig ein gesunder potentieller Präsident, mit genau dem militärischen Hintergrund, den viele US-Amerikaner schätzen. Doch unter dieser Oberfläche ist er genau so doppelzüngig und giftig wie Kevin Spaceys Frank Underwood. Er ist eine echte Bedrohung für den Verbleib der Underwoods im Weißen Haus. Ein wahrer Frank 2.0 mit modernsten Wegen seine Wähler zu erreichen: Webcam Broadcasts, Videoblog, Instagram und absolute Auswertung einer fiktiven Suchmaschine. Alles Wege, die seinem massiven Narzissmus in die Karten spielen. Durch ihn bekommt die neue Staffel House of Cards, nach dem Ende des ersten Handlungsbogens, plötzlich wieder gut Fahrt. Alles erhält eine sehr fesselnde Dynamik, wie ein Schachspiel zwischen zwei ebenbürtigen Spielern. Und für die Underwoods stellt sich die Aufgabe die Öffentlichkeit glauben zu machen, dass ihre Verbindung tiefer geht, als es eine normale Ehe tun würde.
Und so macht die Staffel halt besonders viel Spaß. Denn, sind wir einmal ehrlich, manchmal weht den Underwoods einfach der Sturm ins Gesicht und dann haben sie auf einmal wieder Rückenwind. Wenn diese Richtungswechsel zufällig auftreten, durch glückliche Umstände, dann fühlt sich dies für uns Zuschauer leer und schal an. Es hat keinen Wert. Dies ist die größte Schwäche der Serie. Wenn es ein Arbeitssieg ist, die Vergangenheit zu ihnen aufholt oder ihre Gegner ihnen planvoll die Suppe versalzen, dann ist House of Cards unschlagbar.
Einzelleistungen
Zu den guten Momenten der vergangenen Staffel gehörte sicherlich Dougs (Michael Kelly) eigener Handlungsbogen. Er führte ihn in Richtung Erlösung und brachte ihn an den Rand erbärmlichen Wahnsinns im Finale. Nun ist Doug zurück. Aber alles hat Spuren hinterlassen. Er hat sich in Loyalität geflüchtet und den Ethos komplett fallen lassen. Er ist bereit wirklich alles zu tun um Frank zu dienen. Sogar Dinge, die ihn weiter zerbrechen lassen. Dieser innere Bruch auf etwa der Hälfte der Staffel aber wird durch ihn durch nur noch gruseligeres Verhalten kompensiert.
Auch wenn der Kampf ihrer Rollen den Schwachpunkt der vierten House of Cards Staffel bildet, so sind Kevin Spacey und Robin Wright einfach spektakulär. So wie immer halt. Ihre Performances sind so durchdacht und so bewegend, wie von ihnen zu besten Zeiten zu erwarten. Sogar dann, wenn sie gegeneinander arbeiten (wie gesagt, die schwächsten Momente der Staffel), bildet ihre schauspielerische Arbeitsleistung ein Art Rettungsanker für uns Zuschauer. Selbst im Chaos des Beginns, der sich zunächst zu sehr wie eine Verlängerung der dritten Staffel anfühlt, halten die beiden Kurs. Und bekommen durch Ellen Burstyn als Claires Mutter Elisabeth optimale Unterstützung um neues Fahrtwasser zu finden.
Fazit zur vierten Staffel House of Cards
Es ist schwer auf sich aufmerksam zu machen als Serie, wenn Netflix gefühlt jede Woche eine neue eigene Serie in den Pott wirft. Aber die vierte Staffel House of Cards ist genau das, was die Underwoods brauchten. Alles macht deutlich, dass noch genug Benzin im Tank ist und die Verlängerung um eine weitere Staffel absolut gerechtfertigt ist. Dennoch sollte eine kommende Staffel langsam das Ende bedeuten, denn dieses wird durch die vierte Staffel House of Cards eingeläutet. Die der aktuellen hoffentlich das Wasser reichen wird, denn mit einer Staffel qualitativ auf Niveau der ersten Runde wäre ein würdiger Abschluss gefunden und die schwach dritte Staffel House of Cards endgültig vergessen.